Gestern, am 07.12, wurde ein Haus in Tübingen besetzt und heute ein weiteres in Freiburg. Wir erklären uns solidarisch mit den Besetzer*innen und veröffentlichen hier die Pressemitteilungen der beiden Gruppen.
Tübingen (@PositivBesetzt):
Heute, am 07.12.2018, wurde gegen Abend das leerstehende Haus Ob dem Viehweidle 21 von mehreren Personen besetzt. Das Haus war 2010 in bewohnbarem Zustand verkauft worden. Der neue Eigentümer ließ es seitdem leerstehen. Bei diesem Eigentümer handelt es sich unseren Recherchen nach um einen ehemaligen Geschäftsführer der LBBW Immobilien GmbH, der im Zusammenhang mit staatsanwaltlichen Ermittlungen wegen riskanter Geschäfte 2009 aus seinem Amt ausschied. In diese Zeit fällt auch die Umwandlung der Immobiliensparte der Landesbank vom Bestandsbewirtschafter zum Immobilienhandelshaus. Die Besetzung erfolgte im Anschluss an ein Konzert der Band „Ton Steine Scherben“. Bereits 1972 kam es in Tübingen nach einem Auftritt der Gruppe zu einer Hausbesetzung. Ein damals leerstehendes Gebäude in der Karlstraße wurde mit dem Ziel, ein Jugendzentrum einzurichten, besetzt und in „Epplehaus“ umbenannt. Die Stadt reagierte damals im Sinne der Besetzer*innen und erwarb das Gebäude, um es einer Nutzung zur Verfügung zu stellen. In Tübingen herrscht heute ein Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Außer dem Haus Viehweidle 21 stehen aber gleichzeitig Häuser in der Gartenstraße 7, Belthlestr. 20, Seelhausgasse 18, Schleifmühleweg 3 am Haagtor, Nauklerstr. 17, Eugenstr. 38 sowie weitere leer. Wir finden es skandalös, dass die Zweckentfremdungssatzung, die der Gemeinderat 2016 angesichts 156 dauerhaft leerstehender Häuser und ungezählter Wohnungen erlassen hat, seitdem nicht gegen die Eigentümer dieser Leerstände angewendet wurde. **Als Besetzer*innen Viehweidle 21 fordern wir* – Die Enteignung des Eigentümers des Hauses Ob dem Viehweidle 21 auf Grundlage des Artikel 14 GG – Die konsequente Anwendung des Tübinger Zweckentfremdungsverbots, also Bußgelder für Eigentümer*innen, die ihre Häuser leerstehen lassen! – Übergabe der leerstehenden Häuser Gartenstraße 7, Belthlestr. 20, Seelhausgasse 18, Schleifmühleweg 3 am Haagtor, Nauklerstr. 17, Eugenstr. 38 an Wohnungssuchende. – Enteignung und Kommunalisierung der großen Immobilienunternehmen (Vonovia, Deutsche Wohnen etc.), die die Finanzialisierung von Wohnraum vorantreiben – Mehr bezahlbarer, dem Immobilienmarkt entzogener Wohnraum, der in Selbstverwaltung von den Bewohner*innen geführt wird – Neue Konzepte in der Stadtentwicklung – Eine grundlegende Diskussion darüber, wie wir in der Stadt zusammenleben möchten und wem die Stadt gehören soll Wir solidarisieren uns mit den Besetzungen der letzten Monate in verschiedenen Städten in Deutschland, mit der Kampagne #besetzt in Berlin und den Besetzer*innen der Wilhelm-Raabe-Straße 4 in Stuttgart, die derzeit vor Gericht stehen: Leerstand und Spekulation sind eine Straftat, Besetzungen eine Notwendigkeit!
**Kontakt für Rückfragen:*
Positiv Besetzt Email: positiv_besetzt@riseup.net
Handy: +491632510142
Twitter: @positivbesetzt
**Hintergründe zur Besetzung und den Forderungen: Warum heute wieder**besetzen? *
In wenigen Städten in Deutschland ist der Wohnungsmarkt so angespannt wie in Tübingen. Für Tübinger*innen bedeutet das, Existenzfragen ausgeliefert zu sein: Kann ich mir die Miete noch leisten, wenn unsere Wohnung saniert wird? Wo ziehe ich hin, wenn meine Kinder größer werden? Was mache ich, wenn ich nach Monaten noch immer kein Zimmer gefunden habe? Und wenn ich eines finde und bereit bin, die absurde Miete zu bezahlen – trage ich dann zur stetigen Verschlimmerung der allgemeinen Situation bei? Solche Fragen stellen sich unserem Umfeld und uns persönlich nahezu täglich. Deshalb sehen wir als bodenlosen Zynismus, wenn mitten in Tübingen Häuser leerstehen. Für bequeme Eigentümer*innen ist es ein gutes Geschäft: Immobilien verlieren in der Regel nicht an Wert, im Gegenteil. Geld in sogenanntes „Betongold“ zu investieren, bietet sich an. Die Häuser werden dabei als bloße Anlagemöglichkeit oder Spekulationsobjekt gesehen – dass es sich bei Wohnraum um ein Grundbedürfnis von allen Menschen handelt, spielt keine Rolle. Dieser offensichtliche Missstand sorgt in Tübingen bereits seit mehreren Jahren für Aufsehen und wird zum Thema in Presse, Leser*innenbriefen, Gemeinderat und Mitteilungen des Wohnraumbündnisses. Bereits 2012 wurde in dieser Debatte zum ersten Mal nach Hausbesetzer*innen gefragt. Zu kurzzeitigen Besetzungen kam es vereinzelt, an der Gesamtlage in der Stadt hat sich nichts geändert. Die Mieten steigen weiter und weiter stehen Häuser leer. Deshalb war es berechtigt, als im Oktober dieses Jahres wieder gefragt wurde: „Wo bleiben eigentlich die Hausbesetzer*innen?“ Es ist richtig, eigenmächtig ein Haus zu nutzen, das in Tübingen seit fast einem Jahrzehnt leersteht. Es ist notwendig, Eigentumsverhältnisse, die kaum noch zu rechtfertigen sind und einen Markt, der sich rücksichtslos auf alle Lebensbereiche ausweitet, praktisch in Frage zu stellen.
Freiburg (WG Freiburg):
Haus im Stühlinger besetzt – „Wir protestieren gegen Mietenwahnsinn und Verdrängung“
In den Morgenstunden des 8. Dezembers wurde die Guntramstraße 44 besetzt. Wir wollen nicht länger zusehen, in welche Richtung unsere Stadt sich entwickelt – horrende Mieten, Gentrifizierung und Verdrängung. Als Auftakt der Kampagne „Die WG (Wohnraum Gestalten)“ sind wir in das unbewohnte Haus eingezogen, um dieses mit Leben zu füllen.
Die Guntramstrasse 44 ist ein typisches Beispiel für Wohnraumentwicklung in Freiburg. Der neue Eigentümer, der Züricher Arzt Bernhardt Veil und sein Schwiegervater Bernhardt Wütz drängten über das vergangene Jahr alle Mietparteien aus dem Haus – mit untragbaren Mieterhöhungen, dem Abstellen von Strom, sowie einer fragwürdigen Eigenbedarfskündigung. Laut Veil möchte die Züricher Familie in einen Teil der Wohnungen beziehen, der Rest soll den Schwiegereltern für den Fall eines Besuchs zur Verfügung stehen.
„Dieser Vorgang ist leider Alltag in Freiburg – Mieter*innen werden vertrieben, dann werden Häuser luxussaniert und für unerschwingliche Preise wieder vermietet oder gar verkauft. Während wenige damit Profite machen, verlieren wir unseren Wohn- und Lebensraum“ so eine der Besetzerinnen.
Gerade im Stühlinger werden beängstigend schnell Häuser aufgekauft und durch Luxussanierung rentabler gemacht. Das verändert ganze Strassenzüge und die soziale Zusammensetzung des Viertels – Familien mit Kindern finden keine Wohnungen mehr; Menschen mit geringerem Einkommen müssen an die Stadtränder ziehen. Ein buntes Viertel wird so zunehmend exklusiv.
Einer der Besetzenden äußert: „Wir besetzen, weil die Mietsituation in Freiburg untragbar ist. Unsere Viertel, Häuser und Wohnungen sind keine Spekulationsobjekte. Wohnen ist ein zentrales Bedürfnis aller und muss bezahlbar bleiben.“
In einer Stadt wie Freiburg, wo konstanter Wohnungsmangel herrscht, sind Investitionen in Immobilien eine gewinnbringende Kapitalanlage. Freiburg befindet sich aktuell auf Platz 5 der teuersten Städte in Deutschland. Das hat fatale Konsequenzen für die Menschen in dieser Stadt. Nicht nur bezahlbarer Wohnraum, sondern auch kulturelle Freiräume verschwinden zunehmend.
„Die zaghaften Versuche der Stadt dem Mietenwahnsinn entgegenzusteuern reichen bei weitem nicht aus. Deshalb nehmen wir das jetzt selbst in die Hand.“
Wir wollen uns die leeren Worte der regierenden Parteien nicht länger anhören, die Nutzung und Gestaltung der Stadt ist weder Aufgabe der Stadtbau, noch die eines unfähigen Baubürgermeisters, und schon gar nicht von Schweizer Ärzten, sondern all derer die in dieser Stadt wohnen, sie nutzen und auf ihre Art und Weise gestalten. Eine Stadt muss für alle bezahlbar sein, und Stadtentwicklung muss von unten kommen. Wir stellen uns entschlossen gegen die Gentrifizierung im Stühlinger und sonst wo, und für eine bunte und offene Stadt in der jede*r dort wohnen kann wo er oder sie es möchte und nicht nur dort wo es das Einkommen zulässt. Für ein Stadt in der alle leben können so wie sie es möchten, ganz egal ob in Wohnungen, Wagenburgen oder Baumhäusern.
Durch die Besetzung der Guntram 44 wollen wir Investoren und Verantwortlichen ein klares Zeichen setzen: das was ihr da macht, geht mal gar nicht! Denn Wohnraum muss wieder bezahlbar werden, Luxussanierungen sind genauso unverantwortlich wie Leerstand, und wenn die Stadt nicht handelt, dann machen wir das, dann werden wir Wohnraum gestalten.
Was wir brauchen sind selbstverwaltete Häuser und Wohnräume. Im Erdgeschoss der Guntram 44 entsteht ein nicht-kommerzielles Cafe, das zu Begegnung und Austausch einlädt. Die Besetzung soll einen offenen Raum schaffen, für Anwohner und Interessierte für Diskussionen und um Alternativen zu entwickeln.
Um 14 Uhr wird eine Pressekonferenz in der Guntramstraße 44 stattfinden.
Mail: die-wg-presse@riseup.net