Bei einer der Hausbesetzungen an Pfingsten wurden die schlimmsten Straftaten von den vermeintlichen Ordnungshütern begangen
Der Freie Journalist Ralf Hutter hat gleich nach den Berliner Hausbesetzungen an Pfingsten das Geschehen vor der Reichenbergerstr. 114 aufgearbeitet. Die Zeitung Neues Deutschland hat das Ergebnis der Recherche aber nur verkürzt abgedruckt (28.5.). Hier erscheint nun die ganze Fassung.
Von den Hausbesetzungen am Pfingstsonntag hat die in der Neuköllner Bornsdorferstraße am meisten für öffentliche Aufregung gesorgt, denn das Haus gehört dem Land, was den Senat unter besonderen Druck setzt. Die Räumung wird von vielen Menschen als politischer Skandal angesehen. Für einen anderen, bisher aber weitaus weniger bekannten Skandal, sorgte die Polizei am selben Tag vor der Reichenbergerstraße 114 in Kreuzberg.
Dort war ein Ladenlokal besetzt worden, das laut einem verteilten Flugblatt seit über zwei Jahren leersteht. Die Aktion wurde von einer Gruppe namens „Friedel im Exil“ durchgeführt, um ein Soziales Zentrum zu fordern. Im Juni 2017 war das selbstverwaltete Soziale Zentrum in der Friedelstraße 54 mit einem großen Polizeieinsatz geräumt worden. Seitdem machen die dort einst beheimateten Gruppen an verschiedenen anderen Orten ihre Veranstaltungen.
Vor dem besetzten Lokal wurden ein Buffet aufgebaut und eine angemeldete Kundgebung abgehalten. Die Polizei war seit dem frühen Nachmittag vor Ort.
Nachdem die Polizei schon einmal in einen Teil der Menge gegangen war, um ein Transparent zu entfernen, baute sie sich gegen 20:30 Uhr wieder in einer Kette vor dem Haus auf. Nach vielleicht nicht einmal zwei Minuten und ohne jegliche Ansage begann sie daraufhin, die Leute zu schlagen und wegzuzerren. Eine von der passiven Menge ausgehende Bedrohung war mir nicht ersichtlich.
Gleich nach dem Auseinanderprügeln der Leute beschwerten sich einige bei Umstehenden oder der Polizei. Ich habe später manche von ihnen sprechen können.
Eine Person berichtet von Faustschlägen gegen Köpfe – auch sie selbst habe einen erlitten und deshalb zu Hause eine Kopfschmerztablette genommen. Eine weitere Person erzählt, ein Polizist habe ihr aus dem Hintergrund zwischen zwei Kollegen hindurch in den Bauch getreten. Etliche Menschen fielen in dem Gedränge um. Dass auf dem Gehsteig vor der Hofeinfahrt zwei Poller stehen, machte die Sache noch gefährlicher. Ein Mensch kritisierte sofort nach seiner Entfernung aus der Menge lautstark, ein Polizist habe einer gestrauchelten Person mit dem Knie gegen den Kopf geschlagen.
„Die Polizei ist auf einigen der am Boden liegenden Menschen herumgetreten“, sagt auch eine Person, die C. genannt werden möchte. „Wenn die Leute vom Lautsprecherwagen uns nicht gewarnt hätten, dass die Polizei sich gerade aufbaute, hätten wir das gar nicht mitbekommen“, beschreibt sie die Überraschung, die in dem Moment viele Betroffene teilten. Jemand will gesehen haben, wie schnell noch ein Kind aus der eingekreisten Menge herausgereicht wurde. Auf einer Seite des Angriffs setzte die Polizei auch massiv Pfefferspray ein, erzählt C.: „Wir haben einer Frau zu zweit die Augen ausgespült, weil die so viel abbekommen hatte. Die konnte nicht mehr richtig atmen und hatte zugeschwollene Augen.“
Eine Person vom früheren Friedel54-Kollektiv teilte wenige Tage später auf Anfrage schriftlich mit: „Als die Polizei eingriff, waren die Anmelderin der Kundgebung und ihr Rechtsbeistand gerade am Tor des Hauses und haben mit den Menschen dort geredet.“ Die Anmelderin habe dann im Getümmel festgesteckt.
Die Polizei stellte die Situation am 25. Mai – also fünf Tage nach den Geschehnissen – auf Anfrage so dar: Die „rund 200-köpfige Personengruppe“ habe „aktiv zur Behinderung der polizeilichen Maßnahmen aufgerufen“. Die Polizei habe verhindern wollen, dass das Hoftor geschlossen und so die Räumung erschwert worden wären. Weiter heißt es: „Die Personenansammlung drängte in Richtung des Eingangsbereichs, versuchte das Tor zu schließen und die polizeilichen Maßnahmen durch Gewalttätigkeiten zu unterbinden.“
Doch selbst falls wirklich einzelne Leute versuchten, das Tor zu schließen, kann diese Aussage nicht stimmen, denn die polizeilichen Maßnahmen bestanden in der Situation von Beginn an darin, die Menge ohne Warnung von der Fahrbahn aus – also nicht vom Tor aus – zu zerschlagen. Die Polizei gibt in ihrer schriftlichen Antwort implizit zu, dass sie keine Aufforderung ausgesprochen hatte, die Menschen auf der angemeldeten Kundgebung sollten sich entfernen.
Sie griff zudem die Menge gleichzeitig nicht nur vor dem Hoftor, sondern auch auf der anderen Seite des Ladenlokals an. Nur am anderen Ende setzte sie Pfefferspray ein.
Von Schlägen und Tritten seitens Polizisten war der Polizeipressestelle am 25. Mai nichts bekannt. Zwei Personen seien vorübergehend festgenommen und Strafermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs eingeleitet worden. „Weitere Verfahren wurden wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte eingeleitet“, so die Auskunft. Im besetzten Ladenlokal fand die Polizei übrigens niemanden mehr vor.