Redebeitrag zu #besetzen auf der Interkiezionalen

Am Samstag den 02.03 zogen mehrere Demonstrationen ausgehend von bedrohten Projekten in den verschiedenen Kiezen zum Lausitzer Platz für eine gemeinsame Abschlusskundgebung, um geschlossen die interkiezionale Solidarität gegen die in der ganzen Stadt fortschreitende Verdrängung von Hausprojekten, sozialen Zentren, Kiezkneipen, selbstverwalteten Jugenclubs und Mieter*innen auszudrücken. Mehr infos findet ihr unter: https://interkiezionale.noblogs.org/

Folgender Redebeitrag wurde auf der Abschlusskundgebung gehalten.

Unter dem gemeinsamen Namen #besetzen haben unterschiedliche Gruppen im letzten Jahr Häuser besetzt. Über Besetzungen wird seitdem wieder vermehrt diskutiert, als Protestform und praktische Umsetzung einer solidarischen Alternative zur kapitalistischen Stadtentwicklung. Die Praxis gibt es selbstverständlich schon weitaus länger und auch in den letzten Jahren wurde in Berlin besetzt. Mehrmals hat die Initiative SocialCenter4All versucht durch Besetzungen eine selbstverwaltete Unterkunft für Geflüchtete mit sozialem Zentrum zu schaffen. 2012 besetzten Geflüchtete den öffentlichen Raum am O-Platz und später die Ohlauer Schule. 

Auch wenn bis auf die Großbeerenstraße 17A alle Besetzungen wieder geräumt wurden, bleibt uns vom vergangenen Jahr die überwältigende Solidarität der Berliner*innen in Erinnerung. Deutlicher als jede Statistik zeigen uns das die Nachbar*innen, die vorbeikommen und die Besetzungen unterstützen wollen: mit Wasser, Strom, etwas zu Essen oder einem Kühlschrank. In den Gesprächen mit ihnen wurde auch einmal wieder klar: Fast alle Menschen in dieser Stadt sind potentiell von Verdrängung bedroht. Die Solidarität so vieler Menschen mit Hausbesetzungen entsteht nicht zuletzt aus dem allgemeinen Bewusstsein über die Prekärität der eigenen Wohnverhältnisse. Besetzen kann dabei eine praktische Antwort auf die von uns allen verspürte Bedrohung unserer Lebens- und Wohnverhältnisse durch die fortschreitende Verdrängung von Mieter*innen, Kleingewerbe und solidarischen Kiezen sein.

Es kann ein Mittel sein, mit dem wir andere Ziele erreichen wollen. So war die Besetzung des Umspannwerkes ein Teil des vielfältigen und unberechenbaren Protestes gegen den google campus. Gemeinsam hat dieser es geschafft sogar einen solchen Unternehmensgiganten zum Rückzug zu zwingen. Eine Besetzung kann aber auch Selbstzweck sein indem dadurch offene, solidarische und unkommerzielle Räume geschaffen werden. Räume, die uns in der Verwertungslogik der kapitalistischen Stadtentwicklung immer mehr fehlen. Während #besetzen sich bisher auf leerstehende Räume beschränkt hat, kann besetzen an sich vieles sein. Seit auslaufen der Miet- & Pachtverträge der Liebig34, des Syndikats und der Potse halten alle drei Kollektive ihre Räume besetzt. Auch das Kleingewerbe Kamil Mode am Kottbusser Damm oder die Schwulenbar „der Hafen“ in Schöneberg widersetzen sich ihrer Verdrängung und besetzten. Für den Hafen auch bereits mit einem ersten Teilerfolg, der Mietvertrag soll zunächst um ein Jahr verlängert werden.

So unterschiedlich alle Besetzungen auch sein mögen, eint uns die gemeinsame Praxis: Durch das besetzen stellen wir Eigentumsverhältnisse konkret und praktisch in Frage. Wir widersetzen uns der dreisten Selbstverständlichkeit, mit der Eigentümer_innen und Investor_innen darüber entscheiden wollen, wofür die Räume unserer Stadt genutzt werden. Aber vereinzelter Widerstand wird langfristig keinen Erfolg haben können. Nur wenn wir uns organisieren, vernetzen, kollektive Praxen entwickeln und gemeinsam besetzen in den unterschiedlichsten Formen, können wir eine solidarische und widerständige Stadt von Unten aufbauen. Eine Stadt für alle, in der Geringverdiendende, Arbeits- und Obdachlose sowie Migrantische, Schwarze, nicht-deutsche und queere Communities nicht weiter systematisch verdrängt werden. Eine Stadt in der wir die Bedürfnisse der Menschen in den Vordergrund stellen und Räume nicht nur jenen zur Verfügung stehen, die sich die immer weiter steigenden Mieten gerade noch leisten können.

Trotz der vielen Repression, mit der wir nach den Besetzungen konfrontiert sind, wollen wir weiter dafür kämpfen. Mut macht uns zu sehen, dass wir nicht alleine sind: Die Besetzungen der Liebig34, des Syndikats, der Potse, von Kamil Mode, des Hafens und vielleicht bald auch der Meuterei sowie diese großartige Demo zeigen, dass wir alle schon viel zu lange genug haben von der tägliche Verdrängung auf dem kapitalistischen Wohnungsmarkt. Und nicht nur hier in Berlin wächst der Widerstand: Erst letzten Donnerstag hat die Gruppe „WG Freiburg“ erneut ein Haus besetzt und wird nun erstmal bis zum kommenden Montag geduldet.

Um solidarische Räume zu erhalten und zu schaffen in Berlin, Freiburg und überall: Lasst uns gemeinsam weiter besetzen, bis wir es nicht mehr müssen!